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Eine Fahrt anno 1997

Vorwort

Am 31. Mai 1997 verkehrte auf der Regelspurstrecke Waldheim – Rochlitz ein letzter Personenzug. Vorbei das quietschende Bremsgeräusch des kurzen Zuges an den Langsamfahrstellen, vorbei das Hupen der Diesellok an den zahlreichen Wegübergängen, kein bedrohliches Knarren der alten Schienen mehr unter den Rädern in engen Schienenkurven.

Nun ist diese Szenerie schon mehr als zwanzig Jahre her. Und doch hat sich die Natur schon ein ganzes Stück des Planums zurückgeholt. Die Gleise sind komplett entfernt, in Hartha, Geringswalde und Rochlitz ist die Strecke unwiederbringlich unterbrochen.

Immerhin soll ein Radweg künftig auf der Trasse entlangführen - und damit vielleicht auch die Erinnerung an diese Nebenbahn wach halten.

Wollen wir noch einmal mit einem der letzten Personenzüge von Waldheim nach Rochlitz zuckeln ? Kommen Sie doch mit !

Von Waldheim bis Hartha

Waldheim am 26.04.1997.
Am Bahnsteig 12 steht der "Triebwagenersatz" - eine Lok BR202 und ein einziger Reisezugwagen. Immerhin handelt es sich bei diesem um einen ehemaligen BOM-Schnellzugwagen der DR. "Nobel geht die Welt zugrunde !" Das Gefährt wird an diesem kühlen Apriltag vom Dampf der Heizung kräftig eingenebelt. Erst mal einsteigen. Gerade zwei Leute - ein Vater mit seinem Sohn besetzen eines der Abteile. So ist es kein Problem, einen Platz gleich hinter der Lok zu bekommen.

Bis zur Abfahrt bleibt noch Zeit, über die eigenwillige Nummerierung der Bahnsteige nachzudenken. Ach ja, früher gab es noch einen kleinen, aufgeschütteten Inselbahnsteig am zweiten Gleis der Hauptstrecke Riesa-Chemnitz, den Bahnsteig 2. Die Rochlitzer Linie endete einst an einem Kopfgleis. Dieses hat man jetzt an die Hauptgleise angebunden. So fuhren abends sogar Züge als LZ von Rochlitz kommend über Waldheim wieder zurück nach Chemnitz. Welche Bahn kann sich solche Leerfahrten leisten ? Aber immerhin konnten sich dabei die Batterien der Wagenbeleuchtung wieder aufladen. Bei dem langsamen Gezuckel gingen nämlich abends regelrecht in den Wagen die Lichter aus.

Inzwischen zeigt das Ausfahrsignal "frei- 40km/h auf Vmax" - der blanke Hohn, wo doch die Streckengeschwindigkeit auf dem ersten Abschnitt gerade 25 km/h beträgt. Ein kurzer Pfiff vom Zugbegleiter. Langsam rollen wir aus dem Bahnhof, ohne dass der Diesel seine Motordrehzahl steigert. Vorbei geht's am ehemaligen Lokschuppen. Nun muss der Lokführer doch ein, zwei Stufen höher schalten; die Strecke steigt hinauf nach Richzenhain und unterquert dabei die neue Umgehungsstraße. Bei deren Bau kamen erstmals Stilllegungs-Diskussionen auf. Bei der Überlegung, ob sich der Bau einer Straßenüberführung überhaupt noch lohne, wurde immer von der Erhaltung der Strecke gesprochen.

Durch die Fröhne nach Geringswalde

Hartha. An der Bahnhofseinfahrt eine hochmoderne Schrankenanlage, erst vor wenigen Monaten in Betrieb genommen. Früher sicherte eine ortsbediente Vollschranke den dreigleisigen Übergang. Die beiden Nebengleise waren Anschlussgleise, einst rege genutzt, heute fast zugewachsen. Das kleine Bahnhofsgebäude von Hartha wäre ein ideales Heim für einen Eisenbahnfreund. Hartha ist übrigens nicht mit dem Luftkurort Hartha zu verwechseln. So manch Reisender soll hier aus dem Zug gestiegen sein und nach dem Kurhaus gefragt haben ... Wenigstens steigen noch vier weitere Reisende ein, scheinbar auch Eisenbahnfreunde, die sofort wieder über stillgelegte Bahnstrecken fachsimpeln und dabei nicht mit Schimpfkanonaden über die Wirtschaftsgebärden der DB sparen.

Abfahren ! Nanu, hat es der Zug plötzlich eilig ? Ein paar hundert Meter dürfen hinter Hartha mit 40 km/h befahren werden, das scheint der Lokführer auskosten zu wollen, um seinen Diesel wenigstens einmal richtig hochzudrehen. Lange geht das nicht. Am westlichen Bahnhofskopf schwenkt unser Hauptgleis in die Anschlussgleise ein. Wer hat sich diese Streckenführung bloß ausgedacht ? Naja, es ist halt eine Nebenbahn.

Weiter steigt die Strecke in weitem Linksbogen. Mit 10 km/h schleichen wir über freies Feld. Rechts im Wald taucht die Waldgaststätte "Zur Fröhne" auf. Schade, dass es hier keinen Haltepunkt gibt.
Im romantischen Waldstück Der Höhenrücken der "Fröhne" ist überwunden, nun fällt die Strecke wieder. Der Lokführer hat Mühe, die 20 km/h zu halten, immer wieder pressen sich die Bremsklötze laut quietschend an die Radreifen. Vor jedem Bahnübergang im Wald ein Hupkonzert, welches sich im sonst so beschaulichen Wald bricht.

Plötzlich steht der Zug ganz. Wir halten vor dem Bahnübergang der Straße nach Mittweida. Dieser war früher nie gesichert, die Kraftfahrer mussten eben aufmerksam sein und langsam fahren. Das funktionierte auch. Heute herrscht hier verkehrte Welt. Der Zug wartet, bis ein in einem Wohnwagen kampierender Posten eine Ampelanlage eingeschaltet hat. Erst dann gibt's die Erlaubnis zur Weiterfahrt. Das Auto hat an dieser Stelle das Wettrennen eindeutig gewonnen. Ein Hoch den Autolobbyisten bei der DB !

Eine lange Gerade wird in zügigem 40-er Tempo durchfahren, das Reisen macht plötzlich richtig Spaß. Dann die ersten Häuser von Geringswalde. Hoch oben auf einer Behelfsbrücke der ehemaligen NVA überqueren wir den Klosterbach. Die Gitter des seitlichen Laufsteges machen Lärm, an den sich die Einwohner wohl schon gewohnt haben. Danach kündigt der Zug hupend seine Einfahrt in Geringswalde an.

Gemächlich bis nach Rochlitz

Geringswalde - 10 Minuten Aufenthalt. Wozu eigentlich ? Eine Zugkreuzung ist nicht eingeplant, wir sind der einzige Zug auf der Strecke. Früher kreuzten hier die beiden Züge wochentags.

Nach einem kleinen Plausch zwischen Schaffner und Aufsichter kurbelt letzterer die drei Schranken herunter und weiter geht die Fahrt. Rechts der Anschluss zur Grohmühle. Die Wagen wurden einst mit der noch liegenden Segmentdrehscheibe in das Mühlengelände gebracht.

In weitem Linksbogen steigt die Strecke wieder an, vorbei an der Pferdekoppel und einem Ziegenstall. Wer hier das Fenster unten hat, kann für einen kurzen Augenblick äußerst herb-ländliche Luft schnuppern.
Nun geht's hinunter nach Arras. Der kleine Haltepunkt besitzt noch seine für diese Strecke typische Wartehalle mit Holzpflaster. Der Halt war mal wieder umsonst, keiner möchte ein- oder aussteigen.

Fernab jeglicher Straßen rollen wir nun gemächlich durch den Wald. Die Telegraphenmasten verleihen dem Ambiente dabei noch etwas mehr Eisenbahnflair. Ein Teil dieser Masten wurde sogar in den letzten Monaten ausgewechselt und hält damit wohl länger als es die Strecke noch geben wird.

Im Haltepunkt Obstmühle liegt ein großer Stapel alter Betonschwellen. Sie sind von Alkalischäden gezeichnet und fallen fast auseinander. Wenn die Schwellen unter uns auch so aussehen - na dann ! Ein Bauer grüßt von seinem nahen Feld herüber. Er ist wohl der einzige, der den Zug heute bemerkt hat.

Am Bach entlang geht's im romantischen Waldeinschnitt hinunter nach Döhlen. Der Zug fährt mitten durch den Ort, hat aber hier keinen Halt. Funkelnagelneue Überwachungssignale tauchen auf.

Das weiße Licht leuchtet auf, der Übergang ist also gesichert. Trotzdem hält der Zug an, obwohl sechs neue Halbschranken die B175 und abzweigende Nebenstraßen sperren. Wozu dieser Halt ? Erst jetzt sind wir im Bahnhof Döhlen, während der gleichnamige Ort schon ein ganzes Stück hinter uns liegt. Der Vater mit seinem Sohn beobachten den Zugbegleiter. Es ist Zeit genug und so darf der Junge dem Zug den Abfahrauftrag erteilen und ist entsprechend stolz. Nochmal ein sichernder Blick vom Schaffner aus dem Zug und schon zuckeln wir weiter. Links von uns die Mulde und bald hält der Zug am Felsen und wartet auf die Freigabe der Einfahrt nach Rochlitz.

Ankunft in Rochlitz

Na endlich - ein kurzer Hupton und gemächlich rollen wir am Einfahrtsignal von Rochlitz vorbei.

Die Radreifen quietschen in der Linkskurve und unter uns ächzt die alte Muldenbrücke, über die wir in Schrittgeschwindigkeit fahren. Zwischen Lokschuppen und Stellwerk zwängt sich die Strecke hindurch, bevor sie mit einer Doppelkreuzweiche die Strecke Großbothen-Glauchau aufnimmt.

"Meine Herrn - auf Wiedersehen, hoffentlich nicht erst wieder zu einer Streckenschließung" verabschiedet sich der freundliche Zugbegleiter. Bei dieser Zukunftsaussicht wäre mir wohl nicht so zum Lachen zumute.

So endet also die Fahrt mit dem "eisernen Heinrich" am Bahnsteig 2 in Rochlitz.

Es bleibt genug Zeit, dem Umsetzen der Lok zuzusehen, bevor es nach gut 1,5 Stunden wieder zurück nach Waldheim geht.
Am 1. Juni 1997 ist eine solche Fahrt Geschichte und seither unwiederbringlich. Bewahren wir uns die Erinnerung an ein Stück Eisenbahngeschichte zwischen Waldheim und Rochlitz.